Es ist Anfang September 2016, als ich das erste Mal wirklich Hand an Leo legen sollte. Doch vorher müssen Tommy und ich noch eine Aufgabe lösen.
Wir hatten uns im Vorwege nämlich absolut keine Gedanken gemacht, wo Leo eigentlich während der Restaurationsphase stehen soll. Das große zusammenhängende Grundstück, auf dem meine Eltern und Tommys Familie leben, bietet zwar jede Menge Platz, allerdings sind trockene Unterstellflächen rar, was nicht zuletzt daran liegt, dass die bereits bekannten Autoliebhaber in unserer Familie schon alle erdenklichen überdachten Stellplätze mit Autos belegt haben.
Und so bin ich bei Vadder mit meiner Bitte direkt abgeblitzt. Neben der Abfuhr erhielt ich dann noch den gut gemeinten Ratschlag, das nächste Mal früher über so etwas nachzudenken. Mit hängendem Kopf geht es zu Tommy und wir halten eine Krisensitzung in seiner Küche ab. Nach wenigen Minuten haben wir die Lösung: Auf seinem Grundstück steht noch ein Schuppen mit zwei Garagen, die jeweils bis oben hin vollgemüllt sind – sorry Tommy, aber da steht wirklich fast nur Müll drin. Unser Plan ist einfach: Wir wollen den Müll von einer Garage in die andere bewegen, um Platz für Leo zu schaffen. Die einzige Hürde dabei würde es sein, Tommys Frau – Sandy – davon zu überzeugen, dass es eine gute Idee ist. Ohne Sandys Einverständnis passiert hier nämlich gar nichts. Das ist gelebte Emanzipation. Während Tommy und ich überlegen, wie wir es am schlausten anstellen, misst ein sichtlich erleichterter Vadder schon mal unsere Zielgarage aus und kommt zu dem Ergebnis, dass Leo gerade so hereinpasst.
Die Verhandlungen mit Sandy sind kurz und fast schmerzlos. Wir müssen uns den selben Vorwurf von vor einer halben Stunde noch mal anhören. Außerdem erhalten wir die Auflage, den Müll Inhalt der Garage gefälligst ordentlich wegzuräumen.
Eine Stunde später stehen Tommy und ich in der Garage und sortieren alte Legokisten, ein Ersatzgetriebe für Tommys Z32, eine Palette mit Pflastersteinen, diverse alte Fahrräder von Kindern diverser Generationen und weiteren, weniger nenenswerten Krempel beiseite. Dann ist es vollbracht: Die Garage ist leer und vorsichtig fahre ich Leo herein.
Wirkliche erste Handgriffe
Um Leo nun von seiner Garage zur Werkstatt zu bekommen, müssen wir Leo ungefähr 100 Meter über das Grundstück fahren. Das ist zum weiteren Verständnis wichtig, denn kein Mensch schiebt Autos 100 Meter weit. Und damit haben wir eine tolle Ausrede, das Auto regelmäßig laufen zu lassen.
Ein Etappensieg ist erzielt und nun soll es endlich mal an die Arbeit gehen. Hochmotiviert starte ich in die Wühl-Phase. Also stehen Tommy, Vadder und ich vor Leo, wie er auf der Hebebühne schwebt und fragen uns, wo wir am besten anfangen sollen. Relativ schnell werden wir uns einig, dass so viele Anbauteile wie möglich abgebaut werden sollten. Außerdem muss ich den Unterbodenschutz komplett abschleifen, um in Erfahrung zu bringen, wie es wirklich um den Blechzustand bestellt ist. Der Unterbodenschutz ist nämlich auf Basis von Bitumen. Die tückische Eigenschaft: Wenn der Schutz nachlässt, kann Wasser darunterkriechen und sich verteilen. Den Rost und die Schäden am Blech sieht man allerdings nicht. Erst viel später, wenn das Blech so marode ist, dass auch der Bitumenschutz abfällt, also viel zu spät, kommt dann das wahre Schadensausmaß zum Vorschein. Also muss das ganze Zeug runter. Dabei wollen wir auch die Gelegenheit nutzen, im Nachgang Schutzfarbe aufzutragen. Und wenn wir schon dabei sind, wollen wir so viele Anbauteile wie möglich entfernen. (Mit „wir“ meine ich „ich“). Zu den Anbauteilen gehören beispielsweise die Plastikschürzen rundherum und Hitzeschutzbleche unterm Fahrzeug, die teilweise auch schon sehr verrostet sind. Das sind genau die Arbeiten, auf die ich mich freue und für die ich gerade so qualifiziert bin.
Zuerst erhalte ich ein Briefing von den beiden erfahrenen Schraubern. Als Erstes soll ich mit dem Winkelschleifer und einem Drahtbürstenaufsatz den Unterbodenschutz wegbürsten. Wenn dort Stellen zum Vorschein kommen, an denen sich Rost befindet, ist der nächste Schritt, mit einer weiteren Flex diesen Rost so gut es geht, abzuschleifen. Meine Arbeitsergebnisse werden Vadder vorgestellt, der eine abschließene Beurteilung trifft. Im nächsten Schritt soll dann Fertan aufgetragen werden.
Dabei handelt es sich um einen wirksamen Rostumwandler. Zum Schluss soll dann ein besonderer Schutzlack folgen. Soweit zumindest der Plan.
Nach diesem Briefing werde ich ausgerüstet. Vadder wühlt in den Untiefen seiner Werkzeugschränke und reicht die Werkzeuge an Tommy weiter. Dieser gibt sie mir mit einem jeweils individuellen Hinweis:
-„Schutzbrille, damit Du morgen noch gucken kannst, falls Drahtstücke durch die Gegend fliegen“
-„Handschuhe, damit Deine Hände in einem Stück bleiben“
-„Ohrschützer, damit Du morgen noch was hören kannst“
-„Winkelschleifer mit Drahtbürste zum Vorbehandeln“
-„Winkelschleifer mit grob gekörnter Schleifscheibe zum Entrosten“
Begeistert nehme ich meine (Aus)Rüstung an. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich eine Flex bediene. Dieser Moment fühlt sich eher wie die Aufnahme in einen Ritterorden an; den Schrauberorden sozusagen. Es fehlt nur ein betender Mönch, der meine Flex mit Weihwasser segnet.
Nun stehe ich – vorerst – voll gerüstet vor Leo und es wird Zeit, nach einem Punkt zu suchen, an dem ich anfangen will. Das ist in diesem Fall recht einfach, denn jeder erreichbare Punkt soll bearbeitet werden.
Ich komme mir ein wenig unbeholfen vor und bürste einfach mal in der Mitte des Unterbodens drauf los. Dabei zeigen sich schnell erste Ergebnisse. Durch die Reibung wird das Bitumen warm und von dem Blech heruntergebürstet. Nach den ersten Paar Minuten ist die gesamte Werkstatt in bläulichen Dunst gehüllt und alles riecht penetrant nach Teer. Natürlich, denn schließlich basiert Bitumen auf Erdöl.
Da ich über Kopf arbeite und ziemliche Spaghetti-Arme habe, muss ich regelmäßig absetzen. Diese Gelegenheiten nutzen meine beiden Mentoren, um meine Arbeit zu inspizieren. Schnell entdecken sie auch die ersten Roststellen, die sofort in unterschiedliche Rostrgrade eingeteilt werden – dazu an anderer Stelle mehr. Wir stellen fest: in der Fahrzeugmitte zwischen den beiden Achsen gibt es
stellenweise Rostflecken, die wir behandeln müssen. Bei einigen reicht es schon, mit der Drahtbürste ein wenig intensiver zu bürsten, bei anderen muss ich mit der Flex nachhelfen. An anderen Stellen brauchen wir Fertan und dann finden wir noch einige Stellen, da hilft nur noch Rausschneiden und neues Blech reinschweißen. Alles wird minutiös dokumentiert und so verbringe ich die nächsten Stunden abwechselnd mit der Drahtbürste und der Schleifscheibe.
Die Stunden vergehen und an diesem warmen Abend Anfang September sehe ich schlussendlich aus, wie die letzte Dreckssau. Die Werkstatt stinkt, überall liegen Bitumenkrümel herum und meine Arme tun höllisch weh, aber ich bin glücklich und zufrieden. So kann es gern weitergehen.
In den kommenden Wochen müssen sich meine Arbeitskollegen wohl daran gewöhnen, dass ich mit dreckverkrusteten Fingern zur Arbeit komme. Auch nach minutenlangen Schrubb-Orgien kriegt man die Griffel einfach irgendwann nicht mehr sauber. Hilft nur noch abwarten, bis sich die Haut selbst austauscht. Außerdem fallen mir am kommenden Montag immer wieder kleine Bitumenklumpen aus den Haaren. Meine Kolleginnen, mit denen ich mir das Büro teile, blicken großzügig darüber hinweg. Ich bin dankbar und endlich in der Schrauberwelt angekommen!
Im nächsten Teil erfahrt ihr, was Sonnenblumenöl und Bremsflüssigkeit gemeinsam haben und wieso Tommy seinen Lehrberuf an den Nagel gehängt hat.