Wo waren wir? Ach ja: In der Walzwerkstraße in Lennestadt. Vor mir steht Leo, hinter mir Tommy, CrazyMaik und Moritz. Langsam nähern wir uns dem Objekt unserer Begierde und das mit ganz unterschiedlichen Gefühlen.
Das Erste, was Tommy und mir auffällt: Der Lack sieht deutlich weniger schlimm aus, als wir befürchtet hatten. Auf den Bildern im Internet sah die obere Schicht fast pink aus, nun war deutlich dass es sich um einen Rotton handelte.
Wir treten näher. Andy, der Verkäufer ist weit und breit noch nicht zu sehen. Die perfekte Gelegenheit, Leo ein wenig näher kennenzulernen und schon mal eine Verhandlungstaktik zu erstellen.
Der erste Blick geht in den Innenraum: Die Ledersitze haben sich über die Jahre stark verzogen und etliche Nähte sind gerissen, das Futter guckt überall heraus. Der Fahrersitz ist außerdem auch ziemlich zerschlissen, ein sicheres Zeichen für häufige Nutzung oder schlechte Pflege. Das Lenkrad sieht allerdings nicht so abgenutzt aus, wie befürchtet. Das ist ein wichtiger Indikator, denn abgenutze Lenkräder lassen auf einen aggressiven Fahrstil bei den Vorbesitzern schließen. Das wäre schlecht für Auto und Motor. Ansonsten bleibt der Innenraum ohne Beanstandung. Man kann jedoch durch das Fenster erkennen, dass der Fernseher der Mittelkonsole ausgebaut wurde. War im Inserat nicht erwähnt. Also werden wir Andy danach fragen.
Weiter gehts außen herum. Tommy und ich gehen in die Knie. Die spannendste Frage ist nämlich: Wie sieht er untenrum aus? Hiervon hängt fast alles ab, denn eine schrottreife Karosserie würde ins Geld gehen, schlimmstenfalls sogar vom TÜV „geschossen“ werden, wenn tragende Teile irreparabel beschädigt sind.
Nach dem ersten Abgehen und prüfenden Blicken legen wir uns hin, um auch wirklich überall hin schauen zu können. Glücklicherweise ist es noch hell. Eine eingehende Materialprüfung vorher war wichtig für uns. Tommy hatte schon einmal eine(n) Nissan S13 gekauft, den er nicht richtig besichtigen konnte. Als er ihn auf die Hebebühne zuhause bringen wollte, wurde der Versuch von unserem Vater wie folgt kommentiert:
„Ich glaub, wenn ich die Hebebühne jetzt hochfahre, bleibt das Auto unten“
Das damalige Fahrzeug war mitsamt tragender Teile komplett durchgerostet und es grenzte an ein Wunder, dass Tommy diesen Nissan überhaupt bis in unser heimisches Kaff fahren konnte.
Mit dieser Erinnerung im Nacken wurde also jede verdächtige Stelle bei Leo beäugt. Und so blieben wir auch nicht lange ohne Fund:
Die Schweller auf beiden Seiten (für Laien: Das Stück unter der Tür) waren durchgerostet. Durch sanftes Gegentreten konnten wir sofort eine Menge Roststückchen herunterrieseln sehen. Diese fegten wir schnell fachmännisch mit unseren Füßen unter das Auto. Andy sollte nicht sehen, dass wir bereits mit dem Diagnostizieren begonnen hatten.
Weiterhin waren die Kotflügel von innen ganz ordentlich verrostet und in der Reserveradmulde klaffte ein großes Loch. Ansonsten sah der Leopard von unten – soweit wir das beurteilen konnten – gar nicht schlecht aus.
Nachdem wir also diese Inspektion beendet haben, wandert mein fragender Blick zu Tommy herüber. Er sollte mir ein Zwischenurteil geben. Dabei solltet Ihr wissen, dass Tommy bei solchen Projekten immer zu großem Optimismus neigt, ich musste also eine gewisse Toleranz bei seiner Einschätzung abziehen. Das Urteil „Kein Problem“ wäre also übersetzt in etwa „Nimm Dir schon mal Urlaub, da gehen ein paar Stunden rein“.
Ich frage Tommy also, was er denkt. Prompt bekomme ich als Antwort „Kein Problem“. Alles klar. Mit dieser Einschätzung kann ich arbeiten. An dieser Stelle sollte vielleicht erwähnt werden, dass ich außer passiver Erfahrung durch über die Schulter gucken und Need for Speed spielen absolut keine Autokenntnisse habe. Ich weiß gerade so, wie ein Verbrennungsmotor funktioniert.
Gerade deswegen wurde mir im Vorwege von zahlreichen wohlwollenden Personen, die mir nahestehen geraten, dieses Wagnis nicht einzugehen. Doch indem ich die Zweifel anderer Leute mit klugen Argumenten ausräumen konnte, konnte ich mich selbst auch glaubhaft davon überzeugen, dass dieses Projekt genau das richtige für mich ist.
Das Auto ist also so gut wie gekauft, wir warten nur noch auf Andy. Als Tommy sein Handy herausholt, um „Nissan Leopard“ anzurufen, hören wir aus der Entfernung ein Donnergrollen. Gewitter war eigentlich keines angesagt. Der Sicherheitsfanatiker in mir bekommt schon wieder Schweißausbrüche: Das Auto hat ein Schiebedach von dem wir nicht wissen ob es funktioniert und die Scheibenwischer sehen aus, als wären sie die allerersten, die das Auto je bekommen hat. Doch schnell kann ich mich entspannen, als ein gelber Nissan Skyline R32 die Walzwerkstraße hinauffährt und vor uns hält.
Ein schlaksiger blonder Typ, geschätzt irgendwo in den 30ern springt raus und gibt uns allen die Hand. Das ist Andy, der Verkäufer. Als erste Amtshandlung wird Leo aufgeschlossen. Ich trete näher und atme den Geruch des Innenraums ein. Eine schwer zu beschreibende Mischung aus altem Leder, Achtzigerjahre-Plastik und Raucherauto erfüllt meine Nasen. Mittelgut gepflegte Japaner, die ungefähr so alt sind wie ich haben einfach einen besonderen Duft. Ich bin verzaubert.
Andy beginnt sehr ehrenhaft, alle offensichtlichen und einige nicht offensichtliche Mängel des Fahrzeuges zu schildern. Hier ein kleiner Auszug:
-Die Elektronik spinnt, deswegen ist die Batterie dauernd leer. Wie sehr die Elektronik spinnt, erfahrt ihr später *Cliffhanger*
-Der Fernseher frisst Sicherungen und ist deswegen ausgebaut
-Die Stoßdämpfer hinten sind nicht original, die Originale liegen aber im Kofferraum.
-Rost an bekannten Stellen
-Irgendein Reifen verliert Luft, hab leider vergessen, welcher es war.
-Die Scheinwerfer zeigen leider in die falsche Richtung und es müssen andere Scheinwerfer verbaut werden.
Abgesehen von diesen Mängeln ist aus seiner Sicht das Auto aber ok. Das sehen Tommy und ich zu diesem Zeitpunkt ähnlich. Witzigerweise spricht der Verkäufer die ganze Zeit zu Tommy, obwohl ich der Mensch mit den rosa Scheinen im Portemonnaie bin. Das liegt wohl auch daran, dass Tommy mit angelesenem Fachwissen schnell eine Ebene zu Andy aufbaut.
Ich höre mir einige Minuten alles aufmerksam an, dann schalte ich mich ein: „Wie siehts aus, können wir mal mit dem Hobel die Straße rauf und runter fahren?“
Andys Gesicht hellt sich auf, die Batterie wird angeschlossen, ich lande auf dem Fahrersitz, Tommy neben mir. Andy erklärt uns kurz, wie man die Wegfahrsperre überwindet. Ich drehe den Schlüssel.
Der hell klingelnde Anlasser macht drei Umdrehungen, dann springt das Triebwerk an. Und wunderbar ruhiger Motorsound schmeichelt unseren Ohren, Tommy und ich grinsen uns an, von hinten dröhnt die alles andere als serienmäßige Powerflow-Auspuffanlage. Der Drehzahlmesser pendelt sich bei knapp 1.100 Umdrehungen/Min ein und ich suche den Hebel zum Entriegeln der Motorhaube.
Die Motorhaube springt auf und alle Mann versammeln sich vor dem Motor. Der Motor läuft ruhig und kommt schnell auf Temperatur. Tommy legt fachmännisch seine Hand auf das Gehäuse, um die Laufruhe zu bestätigen. Ein stotternder Motor könnte hunderte Ursachen haben. Doch dieser hier läuft ordentlich. Hier kann ich mich auf Tommys Urteil verlassen, schließlich hat sein Z32 den gleichen Motor.
Ansonsten gibt es nichts spannendes zu sehen, der Turbolader ist gut versteckt. Also spurten Tommy und ich auf unsere Plätze zurück. Der Automatikwählhebel wird vorsichtig auf „D“ gestellt und ich tippe das Gaspedal an. Tommy und ich werden ordentlich in die Sitze gedrückt, die 100 Meter lange Straße ist verdammt schnell zu ende. Nachdem wir die 20 Km/h geknackt haben, verriegelt sich die Beifahrertür, meine jedoch nicht. Alles klar, ein weiterer Punkt bei Elektronikmängeln. Als wir eine Bodenwelle überfahren, quietscht es rechts hinter mir irgendwo. Nagut, halb so wild. Beim Bremsen hört man deutlich die Bremsen schleifen. Die Mängelliste wird im Hinterkopf verlängert.
Kurz den Rückwärtsgang eingelegt, das Getriebe schaltet sauber und im Fahrzeuginnenraum ertönt ein leises Piepen. Es soll uns daran erinnern, dass der Rückwärtsgang eingelegt ist, süß.
Wir rasen die 100 Meter zurück zu Andy und unseren Begleitern. Der Wagen wird abgestellt und mit einem Grinsen, das an Gesichtsstarre erinnert steigen wir aus.
Zu diesem Zeitpunkt bin ich mir sicher: Dieses Auto werde ich kaufen, denn meine Mindestkriterien sind erfüllt. Das Auto ist kein Millionengrab und die absolut wichtigsten Sachen wie Motor, Turbo und Getriebe sind scheinbar in Ordnung. Jedes Teil allein wäre ungefähr so viel wert, wie das Geld, das ich Andy gleich in die ausgestreckten Hände drücken würde.
Ein ganz neues Gefühl macht sich in mir breit, das Gefühl etwas Unvernünftiges zu tun. Es fühlt sich gut an.
Ich nehme den Leopard, 2.000€ steht noch?